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»Ein wichtiger Schritt hin zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs«

Ifw begrüßt die Empfehlungen der »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin«

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Beiräte und Gäste beim ifw-Jahrestreffen 2024 am gbs-Sitz »Haus Weitblick« in Oberwesel

Der am Montag veröffentlichte Bericht der »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin« ist beim Direktorium des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw) auf »weitgehende Zustimmung« gestoßen. »Auch wenn wir einige Aspekte kritisch sehen, ist nicht zu bezweifeln, dass dies ein wichtiger Schritt hin zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist«, erklärt die stellvertretende ifw-Direktorin Jessica Hamed.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission empfiehlt in ihrem ausführlichen Abschlussbericht ausgehend von »verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben, von ethischen Überlegungen und unter Berücksichtigung medizinischer und psychosozialer Aspekte sowie der Versorgungssituation für schwangere Frauen« den selbstbestimmten Abbruch in der Frühphase der Schwangerschaft zu erlauben: »Der Frau steht in dieser Schwangerschaftsphase ein Recht auf Schwangerschaftsabbruch zu. Der Schwangerschaftsabbruch ist daher in der Frühphase der Schwangerschaft – anders als bislang – rechtmäßig zu stellen.«

»Es ist zu hoffen, dass die Koalition der unmissverständlichen Empfehlung der Kommission folgt, denn dann würde der Rechtswidrigkeitsmakel des selbstbestimmten frühen Schwangerschaftsabbruchs entfallen und sich die schlechte Versorgungslage für ungewollt schwangere Frauen erheblich entspannen«, meint Jessica Hamed. Unter solchen Bedingungen sei nämlich davon auszugehen, dass in Zukunft mehr Ärzte bereit wären, einen derartigen Eingriff vorzunehmen. Außerdem könnten die Kosten dafür auch von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden, was vor allem ökonomisch schlechter gestellten Frauen zugutekäme.

Kritisch betrachtet das ifw, dass die Kommission den Schwangerschaftsbruch nur innerhalb einer »Fristenlösung« von 12 Wochen als »rechtmäßig« ausweist, dem Gesetzgeber bei später erfolgenden Abtreibungen jedoch einen großen »Spielraum« für andere, restriktivere Regeln einräumt. Auch wenn die Empfehlungen der Kommission in diesem Punkt hinter den Ausführungen, die das ifw bei der Kommission in Berlin vorgestellt hat (hier und hier), zurückbleiben, »sollten sie unbedingt umgesetzt werden«, so Jessica Hamed, »weil sie die Versorgungslage der ungewollt Schwangeren in Deutschland in einem kaum zu überschätzenden Maße verbessern würden«.

Die Verfassung als Maßstab

Besonders erfreulich sei, ergänzt ifw-Direktor Jörg Scheinfeld, »dass die Kommission den vom ifw hervorgehobenen Vorrang des Rechts gegenüber weltanschaulich-religiösen Vorbehalten betont hat«. Dazu heißt es in dem Bericht der Kommission: »Unterschiedliche Wertvorstellungen ergeben sich in einer freien Gesellschaft aus einer Vielzahl divergierender und teils widerstreitender weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen. […] Eine rechtlich verbindliche Regelung aber findet ihren Maßstab allein in der deutschen Verfassung, die mit der europa- und völkerrechtlichen Rechtsordnung verschränkt ist. Dieser verfassungsrechtliche Rahmen eröffnet dem Gesetzgeber bei gleichzeitiger Verpflichtung zu religiös-weltanschaulicher Neutralität stellenweise Spielräume, innerhalb derer über die spezifische Ausgestaltung der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs im demokratischen Prozess entschieden werden kann.« (Bericht der »Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin«, S.15)

Das ifw hat die Entkriminalisierung des selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruchs schon vor Jahren gefordert und dabei unter anderem den Fall der Gießener Ärztin Kristina Hänel begleitet, der zur Streichung des »Ärzteeinschüchterungsparagrafen« 219a StGB sowie zur neuen Diskussion über den Abtreibungsparagrafen 218 StGB geführt hat. »Ohne Kristina Hänel, ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen gäbe es die aktuelle, so wichtige Debatte zur Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht«, betont Jessica Hamed und verweist auf den vor wenigen Wochen veröffentlichten neuen Sammelband des ifw »Der Fall Kristina Hänel«. »Es bleibt nun zu hoffen«, so Michael Schmidt-Salomon, ifw-Direktoriumsmitglied und Vorsitzender der Giordano-Bruno-Stiftung, »dass die umfangreichen Arbeiten der Kommission nicht vergebens waren und die Koalition das kleine historische Zeitfenster nutzt, um einem der wichtigsten Anliegen der Frauenbewegung zu Erfolg zu verhelfen«.

Das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) wurde 2017 von der Giordano-Bruno-Stiftung gegründet, um das Gebot der weltanschaulichen Neutralität des Staates in der Rechtspolitik und in der Rechtsprechung zu stärken. Am vergangenen Wochenende fand am Stiftungssitz »Haus Weitblick« in Oberwesel das 8. Beiratstreffen des ifw statt, zu dem renommierte Juristinnen und Juristen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz anreisten. Neben der Reform der gesetzlichen Regelung des Schwangerschaftsabbruchs diskutierten die Beirätinnen und Beiräte des ifw unter anderem über die zivilrechtliche Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, die Abschaffung des »Gotteslästerungsparagrafen« 166 StGB und die notwendige Reform des kirchlichen Arbeitsrechts.